Rot-Weiß


Wer kennt sie nicht, Alltagssituationen, wie diese: Man kommt gerade die Tür herein, natürlich vollbepackt wie ein Esel, und hört das Telefon schrillen? Was tun?, fragt man sich, aber nicht besonders lange, denn schon liegen die Tüten und Taschen auf dem Boden. Man stürzt zum Telefon, die Rufnummer ist unterdrückt, nimmt den Hörer aber trotzdem in die Hand und brabbelt seinen Namen hinein.

»Guten Abend. Sind Sie Herr XY?«, säuselte eine weibliche Stimme am anderen Ende der Leitung, als habe man sich soeben nicht als solcher zu erkennen gegeben.
»Ja«, bestätigt man ein zweites Mal seine Existenz, nun aber doch etwas genervt, und fragt, was sie denn von einem wolle.
»Nun«, flötet die Stimme, »ich rufe im Auftrag des Bundesmeinungsforschungs-institutes an.« 
Soso, Bundesmeinungsforschungsinstitut, denkt man, während die Stimme erklärt, dass sie eine Umfrage durchführen wolle. – Für wie bescheuert halten die einen denn? Es geht bestimmt wieder um eine Versicherung, eine Kapitalanlage oder eine Lotterie… »Wären Sie bereit, mir eine kurze Frage zu beantworten.« Man zögert mit der Zustimmung, weil man gerade im Begriff ist, das Gespräch mehr oder weniger freundlich zu beenden, aber schon steht die Frage im Raum; eine ganze andere, als man sie sonst gewohnt ist: »Können Sie mir sagen, welche Farbe Mainz hat?«
Man ist perplex. Welche Farbe? Mainz? So ein Quatsch, denkt man. Eine Stadt hat doch keine Farbe! Und doch, es muss ja so sein, denn man wird ja danach gefragt. Städte unterscheiden sich, manchmal auch fundamental, obwohl sich die Innenstädte eigentlich immer mehr angleichen.
»Rot-Weiß!« antwortet man und denkt dabei an die Stadtfarben, also die Farben der Stadtflagge, und dementsprechend an Mainz05.
»Nein‹«, antwortet die Stimme lapidar.
Erst jetzt merkt man, dass es sich um keine Meinungsumfrage, sondern ein Quiz handelt. Man macht aber trotzdem weiter, um herauszufinden, was hinter all dem steckt. Außerdem denkt man vielleicht gerade an New York: Yellow Cabs, gelbe Zeitungsboxen, gelbes Licht am Chrysler-Gebäude, gelbe Schulbusse, gelbe Straßenschilder. »Schwarz«, sagt man jetzt, meint das aber nicht politisch, sondern denkt an Johannes Gutenberg und die Druckerschwärze.
»Auch da liegen sie falsch«, entgegnet die Stimme. »Sie haben noch eine Chance.«
»Blau-Gelb – die Mainzer Verkehrsbetriebe?«, antwortet man schnell und schiebt noch hinterher: »Sandsteinfarben wie der Mainzer Dom?«
»Nein«, sagte die Stimme, »die Befragung ist leider beendet, wenn Sie wissen wollen, welche Farbe ihre Stadt hat, dann rufen sie folgende kostenpflichtige Rufnummer an …«

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