Ein bisschen Hohoho...

 Vieles, was wir für gewiss erachten, ist gar nicht so gewiss, wenn wir es genau besehen. Das gilt auch für Traditionen, die wir für unverrückbar halten und unser Eigen nennen, obwohl sie wandelbar und fremden Ursprungs sind. So ist es inmitten des politischen Schlagabtauschs um Integration und Leitkultur – was auch immer das sein soll – eigenartig still um eine der herausragenden und traditionsbildenden Figuren mit Migrationshintergrund, welche wir Deutschen gerne für uns vereinnahmen. Die Rede ist natürlich nicht von dem Nationalspieler Mesut Özil oder dem Regisseur Fatih Akin, sondern vom Bischof Nikolaus von Myra. Es ist fast vergessen, dass er aus Kleinasien, der heutigen Türkei stammte. Ohne ihn wäre die typisch deutsche Ausprägung von Weihnachten gar nicht denkbar.
Dass der zugewanderte Heilige mit dem kettenrasselnden Knecht Rupprecht vielerorts am 6. Dezember die Stiefel oder Socken der Kinder füllt, ist ein Brauch aus dem Mittelalter, der für die Protestanten von Martin Luther in seinem Kampf gegen die Heiligenverehrung abgeschafft wurde. Er verlegte die Bescherung auf Weihnachten. Die Gaben brachte nun der »Heilige Christ«, eine allzu gestaltlose Figur, die bald zum Christkind verniedlicht wurde. 
Das Mysterium, wer oder was das ätherische Wesen, das man sich als weißgewandetes und blondgelocktes Mädchen vorstellt, nun eigentlich sei, ist nie aufgeklärt worden. Eines aber ist sicher, es symbolisiert nicht, wie häufig angenommen wird, das neugeborene Jesuskind.
Hierbei aber blieb es nicht. Denn der perfekt assimilierte Bischof von Myra forderte sein verlorenen gegangenes Terrain in Gestalt eines greisen untersetzten Herrn, den man bald Weihnachtsmann nennen sollte, zurück. Er verdrängte das Christkind aus den evangelischen Kreisen, so dass es Asyl in katholischen Familien suchen musste. Ausgestattet mit weißem Gottvaterbart und Herrenpelz zog es den mutierten Nikolaus mit den Auswanderern in die Neue Welt, wo ihn eine Limonandenfabrik in ihre Hausfarben, rot und weiß, tauchte, mit einer Zipfelmütze versah, die an deutsche Gartenzwerge erinnert, und auf einen gigantischen weltumspannenden Werbefeldzug schickte, der noch heute andauert. Seitdem herrscht in manchen Gegenden Deutschlands zwischen den Anhängern des Weihnachtsmannes und denen des Christkinds ein erbitterter Streit, der zu einem wahren Geschlechter- und Kulturkampf ausarteten kann.
Meist aber stehen beiden Figuren in der weihnachtlichen Dramaturgie brav und unhinterfragt nebeneinander: bei den Großeltern bringt das Christkind die Geschenke, bei den Eltern der Weihnachtsmann. Es könnte auch Rudolf das Rentier mit der roten Nase sein. In naher Zukunft vielleicht auch Hermes oder DHL? Auf alle Fälle würde man dann auch sie zur deutschen Weihnacht zählen und als Teil des christlich-jüdischen Kulturerbes bezeichnen.