Und es bewegt sich doch!

Eine Stadt lebt von Bewegung. Man könnte auch sagen, Bewegung ist ihr Leben. Das ist bei Menschen, die einen wesentlichen Teil dessen ausmachen, was wir Stadt nennen, auch nicht anders. In einer Erzählung von Joseph Conrad wird der an Tuberkulose erkrankte Titelheld James Wait auf einer Schiffsfahrt von Bombay nach London gefragt, warum er die Reise trotz seiner Krankheit angetreten habe. Woraufhin er antwortet: »Ich muss leben, bis ich sterbe - oder nicht?« Eine triviale und dennoch außergewöhnliche Antwort, die seine Reise mit seinem Leben gleichsetzt, eine Offenlegung der Motive aber schuldig bleibt. 

Die Gründe, warum wir uns in Bewegung setzen und nicht in Trägheit verharren, sind sehr vielfältig und abhängig von unseren jeweiligen Bedürfnissen, allen voran den Grundbedürfnissen. Eine wichtige Rolle spielt das Geld. Wobei zu viel davon, was der Neoliberalismus mit Bedacht verschweigt, wiederum träge macht. Linda Evangelista, eines der bestbezahlten Fotomodelle der 1990er Jahre, sagte einmal: »Für unter 10.000 Dollar am Tag, stehen wir gar nicht erst auf.« 

©  Christian Kohl
Die betuchten Trägen bewegen sich nur, wenn es nicht mehr zu vermeiden ist, und wenn es an ihre Pfründe geht, auf die sie ein natürliches Anrecht zu haben glauben. Das gilt auch bei jeder Art von staatlicher Alimentierung, was man im Zuge von Sparmaßnahmen immer wieder beobachten kann. Nehmen wir die Spar-Diskussion um das Mainzer Staatstheater: Jetzt endlich verlassen auch die trägen Theaterleute ihre ummauerte Festung, um Verbündete im Kampf gegen den Rotstift zu suchen und ganz nebenbei, weil es gerade nützlich ist, auf hohem Ross den Untergang der Kultur zu beklagen.
Wie lange haben wir darauf gewartet, auch wenn sie mit einer Affenliebe an überkommenen feudalen Strukturen festzuhalten versuchen! Dachten wir doch schon, das hohe Haus scheue den Umgang mit uns Mainzer Bürgern. Wir seien ihnen nicht gut genug. Wie viele Mainzer Schauspieler, Regisseure und Autoren müssen ihr Brot in fremden Landen verdienen, anstatt in ihrer Heimat zu brillieren! Wie viele Mainzer haben schon damit begonnen, das Theater als Fremdkörper im kulturellen Leben der Stadt zu betrachten und sich seine Öffnung zu wünschen! Denkbar wären Kooperationen mit den unzähligen und unterschiedlichsten Kulturprojekten, die ein Kellerdasein fristen, - und zwar nicht, weil es ihnen an Qualität, sondern an finanziellen Mitteln mangelt. Oder eine Nacht des Theaters mit Spielstätten überall in der Stadt… 

Aber damit sich in Mainz noch mehr bewegt, wäre es an langsam an der Zeit, sich auch die Palliativrhetoriker in Politik und Wirtschaft vorzunehmen und gegen die selbst verordneten Diäten, die fetten Unternehmergewinne, die saftigen Abfindungen von ausscheidenden Vorstandsmitgliedern und die Ämterhäufung anzugehen.