Sieg über das Wutvirus

Mainz ist auf dem besten Weg zu einer der bedeutendsten Städte der Bundesrepublik, ja vielleicht der ganzen Welt zu werden. Man denke etwa an so herausragende Titel wie »The Great Wine Capital« oder »Stadt der Wissenschaften«, oder auch an die neue Coface-Arena, die geplante Mainzelbahn und andere anstehende Projekte. Doch es scheint nur so. Denn wie weiland beim Turmbau von Babel wächst unter den Mainzer Bürgern von Tag zu Tag der Anteil der Spielverderber, die viel zu viel analysieren und allzu oft dunklen Gedanken nachhängen: Sie bezweifeln, ob dies alles zum Wohle der Stadt geschehe. Argwohn erregen vor allem Großprojekte wie Möbel Martin mit einer gigantischen Verkaufsfläche von 45.000 Quadratmetern, die in etwa der Fläche der diesjährigen Bundesgartenschau in Koblenz entspricht, oder das »Handelsquartier« an der Lu mit 30.000 Quadratmetern. Viele befürchten, dass am Ende mehr gebaut werde, als Kaufkraft existiere. Die Folgen lägen auf der Hand: Ladenschließungen, Arbeitslosigkeit, Verödungen ganzer Stadtviertel usw. usw.
Aber was nützen all die Befürchtungen und Einwände, wenn die Großprojekte doch durchgezogen werden? Was nützt dann wütender Protest? Man sieht es ja in Stuttgart. Oder noch weiter: an der Banken- und Schuldenkrise. Die wütenden Miesepeter sollten einfach positiv denken, das führt schon zum gewünschten Ziel, so jedenfalls suggerieren es die Motivationstrainer, Coachingexperten, Ratgeberautoren und Karrierescouts, die derzeit wie Pilze aus dem Boden schießen. Nach ihnen, können wir die Welt mittels unserer Gedanken beherrschen. In der Welt des positiven Denkens stellen sich die Probleme nur in unserem Kopf und lassen sich leicht durch Willensanstrengung meistern. In dieser Art Selbsthypnose können wir Armut, Arbeitslosigkeit oder niedrige Löhne als Chance begreifen und mit Optimismus ja Dankbarkeit begegnen. Wir sehen es an guten Verkäufern, die die Lügengeschichten, die sie manchmal erzählen, irgendwann selbst glauben. Oder denken wir an die Kraft positiver Worte. Mit Lob kommen wir weiter als mit Kritik. Das gilt auch hinsichtlich beschönigender Beschreibungen. Kein erwachsener Mensch käme wohl auf die Idee, mit einem Kinderroller durch die Stadt zu fahren, wenn man diesen nicht Kickboard nennen würde.
Also bewahren wir uns eine positive Haltung und bleiben wir offen. Wir brauchen nur wie ein Sieger und nicht wie ein Verlierer zu denken und Mainz erstrahlt in neuem Glanz. Der Erfolg ist garantiert. Und wenn er nicht eintritt und wir immer noch wütend sind, dann liegt es nicht am positiven Denken, sondern an uns selbst. Dann haben wir uns nicht genug Mühe gegeben, positiv zu denken.