Milchmädchenrechnung

Ich muss es offen aussprechen: Wie jeder Banker, Unternehmer, Politiker und überhaupt fast jeder, der mindestens ein Bankkonto besitzt und eine Versicherung abgeschlossen hat, hänge ich an Zahlen. Zahlen sind in einer immer komplexer werdenden Welt oft das Einzige, was Orientierung verspricht. Sie stellen etwas Stabiles dar, etwas, was Sicherheit vermittelt. Man spürt es schon im Umgang mit ihnen, etwa bei den Grundrechenarten. Hier gibt es immer nur eine richtige Lösung, ganz im Gegensatz zu den meisten Entscheidungen, die man tagtäglich treffen muss.
Das ist aber nicht der einzige Grund, warum ich eine Schwäche für Zahlen habe. Viel wichtiger ist, dass man mit ihnen spielen kann, dass sie unsere Fantasie anregen. Umfragen, Bilanzen, Statistiken sind doch nichts anderes als mehr oder weniger großartige paradoxe Spielereien. Es sind Zahlen aus der Vergangenheit, mit denen man spielt, um Voraussagen über künftige Ereignisse zu treffen, die so - wie vorausgesagt - aber nie eintreten können, weil die Voraussagen natürlich Verhaltensänderungen anschieben. Unsere Fantasien können sich an einigen wenigen Zahlen entzünden, die Rückschlüsse auf das Ganze zulassen. Nehmen wir z. B. die Zahl 684. So viele Geldspielautomaten in Spielhallen kommen nämlich auf 100.000 Rheinland-Pfälzer, auf einen Automaten also ca. 147. Rheinland Pfalz nimmt damit einen einsamen Spitzenplatz ein. Zwei Vergleichszahlen: In Hessen kommen 535 auf einen Automaten, in Berlin gar 963.
Das sind Zahlen, mit denen man wunderbar jonglieren kann, etwa indem man das Wesen des Rheinland-Pfälzers zu ergründen sucht. - Man bedenke, dass nur wenige Tintenspritzer, das Badewasser einfärben können. -  Zum Beispiel: Jeder weiß, dass am Spielautomat nicht wirklich etwas zu gewinnen ist, was dem Leben eine neue Richtung verleiht, wie beim Lottospiel oder auch im Kasino. Dem Rheinland Pfälzer genügt demnach das kleine Glück. Er baut keine traumhaften Luftschlösser. Er flieht aber dennoch vor der Realität. Denn vor dem Geldspielautomaten zählen weder Bildung, noch der Name, noch die Position. Vor dem Zufall sind alle gleich. In der Spielhalle gibt es auch keinen entscheidenden großen Kampf, der alles zum Guten wenden kann. Es gibt kein Ende. Hier fängt jeder immer wieder von vorne an. Auf den Rheinland-Pfälzer gewendet, kann man sagen: Der Weg ist sein Ziel. So kann man beliebig weiterspinnen. Man kann sagen, dass den Rheinland-Pfälzer dabei nichts aus der Ruhe bringt, - wie den Spieler, der in absoluter Anspannung und Aufmerksamkeit im Spiel aufgeht usw. usw.
Übrigens für die, die es nicht bemerkt haben, die Zahl 684 ist natürlich erfunden. Es kommen nur halb so viele Spielautomaten auf 100.000 Rheinland-Pfälzer. Immerhin noch genug, um den Spitzenplatz zu behaupten. Das ist denn auch der dritte Grund, warum ich mich für Zahlen begeistere: Man kann mit ihnen wunderbar lügen.