Apothekenschwemme


Warum gibt es in der Mainzer Neustadt mehr Apotheken als Bäckereien oder Metzgereien? Vielleicht sogar mehr noch als im Stadtzentrum. Was ja irgendwie verständlich wäre. - Das hat sich sicher doch schon mancher gefragt.
Liegt das an einem erhöhten Krankenstand? Das läge auf der Hand, wenn man an die Umweltbelastung durch das nahe Industriegebiet denkt oder auch an die Folgen des Zusammenlebens auf manchmal engstem Raum, das Krankheitserregern aber auch Gewalt ungeahnte Ausbreitungsmöglichkeiten bietet. Aber davon hört und spürt man nichts. Wenn man aber glaubt, es läge an der Überalterung des Stadtviertels, dann sieht man sich ebenfalls getäuscht, denn in den Apotheken tummeln sich Alt und Jung. Dann wären da noch die Harz-IV-Empfänger mit einem vergleichsweise hohen Anteil an der Stadtteilbevölkerung, die erwiesenermaßen krankheitsanfälliger als der Durchschnitt sind. Oder auch die Studenten. Man denke an das viele Aspirin ... Summa summarum aber bietet das keine Erklärung, warum die Neustädter mehr Arzneimittel als Brötchen zu sich nehmen!
Sind die Neustädter denn gesundheitsbewusster als andere, etwa die Bretzenheimer? Greifen sie häufiger als andere Mainzer zu Prophylaktika oder Nahrungsergänzungsmittel? Auch diese Frage dürfte mit einem klaren Nein zu beantworten sein. Auch die teuren Kosmetikartikel, die es in den Apotheken zu erstehen gibt, dürften sie nicht besonders interessieren.
Verkaufen die Neustädter Apotheken Produkte, von denen ich nichts weiß? Etwa irgendwelche Drogen? Sicher nicht! Denn dann wäre Fastnacht ein Dauerzustand. - Obwohl, wenn man es sich recht überlegt, tragen die Apotheken vermutlich dazu bei, dass der ein oder andere die fünfte Jahreszeit einigermaßen gut übersteht.
»Aber was ist denn mit den psychisch Kranken?« fragte mich eine Bekannte aus Gonsenheim, als wir neulich über das Thema diskutierten. »Gibt es in der Neustadt von ihnen vielleicht mehr als in anderen Stadtteilen?«
»Höchstwahrscheinlich nicht«, antwortete ich und machte mich am nächsten Tag auf die Suche. Nach langem Warten auf einem der Neustädter Plätze fand ich genau drei: einen älteren kräftigen Herrn, der Engel sah; eine Dame mit sieben Plastiktüten unter dem Arm, die unter Rosenkranzgemurmel die Abfalleimer nach Reliquien durchsuchte und einen Moralprediger, der in sich gekehrt zur Umkehr aufrief. - Das war zwar eine reiche Ausbeute für einen Vormittag, aber eine Erklärung für das Apothekenphänomen war es nicht.
Der Grund muss also auf einem völlig anderen Gebiet liegen, auf einem wirtschaftlichen. Wie wäre es mit den Supermärkten und ihren Knack- und Backabteilungen, die den Bäckereien den Garaus machen und so einen Überhang von Apotheken schaffen? Oder mit der Globalisierung, die für alles herhalten muss? 

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