Pawlowscher Hund


 Mittlerweile weiß jeder, dass Geräusche, die mit technische Neuerungen gleich welcher Art verbunden sind, unser Denken und Verhalten beeinflussen, auch wenn sie schon lange verstummt sind. Sie kennen das: Ganz plötzlich hält der Vorder- oder Nebenmann im Bus oder Büro, auf der Straße oder in der Kneipe mitten in seiner Bewegung inne – oder in einem Gespräch, das er gerade führt, –  und spitzt die Ohren, als habe er die Engel im Himmel singen hören, obwohl nichts dergleichen zu vernehmen ist. Eine Zehntelsekunde später fängt er aus ebenso unerfindlichen Gründen an zu zucken, als sei ein Dämon in ihn hineingefahren, und hektisch, ja verzweifelt seinen Körper abzuklopfen. Frauen tun so, als horchten sie an ihren Handtaschen, bevor sie diese wie wild geworden durchwühlen. Manchmal werden diese Suchbewegungen mit Ausrufen wie »War da nicht was?« oder »Seid mal kurz still!« begleitet. Aber da war nichts, außer der alltäglichen Hintergrundgeräusche. Der kontrollierte Blick des Nebenmannes auf sein Handy, das er nun endlich hervorgekramt hat, macht es deutlich: alles nur Einbildung.
Phantomklingeln nennt man dieses Phänomen, das sich mit der Einführung des Mobiltelefons immer weiter ausbreitet. Man hört sein Telefon, obwohl es gar nicht klingelt. Es rührt daher, dass wir in unserer Wahrnehmung wie ein Pawlowscher Hund auf unseren Klingelton geeicht sind. Besonders in angespannten Situationen, wenn wir eine Nachricht oder einen Anruf erwarten, hören wir aus der Geräuschkulisse, die uns gerade umgibt, aus dem Brummen und Summen, dem Fiepen und Piepen, den Werbe-Jingels, Sound-Logos und dem Wohlfühlgedudel das heraus, was unserem Klingelton annähernd entspricht.
Eine ähnliche Art von Gehör-halluzination ist der Ohrwurm. Die Amerikaner sprechen von »Klebeliedern«, die Franzosen von »Ohrbohrern«. Gemeint sind Lieder, die in den unpassendsten Momenten in unserem Kopf auftauchen und sich für mehrere Stunden in unser Gehirn schrauben. Auch hier reicht oft schon ein einziger Ton, um die ganze Melodie in unserem Kopf entstehen zu lassen, so als ob sie gerade irgendwo in einem Radio spiele.
Akustische Halluzinationen gibt es aber auch auf einem ganz anderen Gebiet, was den Einfluss der Geräusche auf unser Denken und Handeln besonders verdeutlich. Nehmen wir an, Sie fahren täglich mit der Straßenbahn vom Hauptbahnhof zum Gautor und bei jedem Halt wird die aktuelle Haltestelle ausgerufen. »Schillerplatz-Juwelier Willenberg« hören Sie es dann jeden Tag gleich zwei Mal aus den Lautsprechern tönen. Da ist es doch kein Wunder, dass Sie jedes Mal dann, wenn Sie sich am Schillerplatz verabreden, oder wenn vom Schillerplatz die Rede ist »Juwelier Willenberg« mithalluzinieren. Das Gleiche gilt für »Münsterplatz - Kinderladen«, »Fischtor - Identity AG« oder wie die Haltestellen seit neustem alle heißen …

2 Kommentare:

  1. Schließe mich dem anonymen Kommentator an! Jetzt wirds allmählich Zeit, dass Sie die lokalen Gefilde verlassen.

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