AUCH EIN BLINDES HUHN ...


Niemand ist so veranlagt, dass man ihm trauen könnte! – Das ist die fixe Idee der Mainzer Grabrednerin Lucia Herzer, einer pensionierten Lehrerin, die hinter jedem Trauerfall einen Mord vermutet. Sehr zum Missfallen ihrer Wiesbadener Freundin Helga. Denn die selbst ernannte Mainzer Miss Marple geht dabei fast immer in die Irre. Sie beschuldigt unbescholtene Bürger und lässt sich zu waghalsigen Aktionen verleiten, die für die beiden Freundinnen nicht immer ungefährlich sind.
Doch auch ein blindes Huhn wie sie findet manchmal ein Korn. Dieser Stadtkrimi, an dem die Leser der „Stadtausgabe Mainz“ als Ideengeber mitgewirkt haben, ist mehr als nur eine bloße Aneinanderreihung von Aha-Erlebnissen – etwa wenn man die Kneipe an der Ecke oder bestimmte Mainzer Persönlichkeiten wiedererkennt. Er ist urkomisch und spannend zugleich.

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Auszug: 
»Niemand ist so veranlagt, dass man ihm trauen könnte!«, sagte Lucia hochtrabend, während sie die Hand hob, um ein weiteres Kännchen Kaffee zu bestellen. »Absolute Macht über das Leben eines anderen Menschen…«
»Unsinn!«, fiel ihr Helga ins Wort, die appetitlos in ihrer Sachertorte herumstocherte. »Ich würde nie auch nur daran denken, jemanden zu ermorden!« Die beiden älteren Damen saßen in einer Ecke im Maldaner, dem Kaffeehaus und selbsternannten Wohnzimmer von Wiesbaden, wie sie es jeden Dienstag und Donnerstag Nachmittag taten.
»O doch. Du würdest«, beharrte Lucia. »Wenn du weißt, dass es keine Konsequenzen hat! Du und jeder andere.«
»Aber das ist doch Quatsch«, entgegnete Helga erregt und warf die Kuchengabel geräuschvoll auf den Tisch.
© Christian Kohl
»So? Meinst du?« Lucia lächelte und hob vielsagend die Augenbrauen. »Warum denkst du wohl, das um den Mord all diese raffiniert ausgeklügelten Hürden errichtet wurden?« Sie machte eine kurze Pause, um die Wirkung ihrer Frage abzuschätzen. »Weil es sich um ein Verbrechen handelt, zu dem jeder fähig ist. - Mord ist so natürlich wie Essen und Trinken.« Sie tat einen Schluck aus ihrer Tasse, wie um das Gesagte zu verdeutlichen. »Und dieser Gärtner ist dazu fähig. Das sage ich dir. Als ich mich bei ihm heute morgen noch einmal  nach dem Leben der Verstorbenen erkundigen wollte, war er nicht in seiner Wohnung, im Souterrain übrigens, sondern obendrüber, in ihrem Haus. Was hat er da gewollt, frag ich dich? Er ist doch nur ihr Gärtner, - äh, war ihr Gärtner. Das Haus war klinisch sauber. Alles piccobello. Kein Papier lag herum, die Bilder hingen an ihrem Platz…«
»Siehst du!«
»Ja, aber das ist es doch gerade. Alles verbreitet eine kühle, frostige Atmosphäre, als ob nie jemand im Haus gewohnt hätte, als ob man etwas vertuschen wollte.« 
»Hör mir doch auf! Ist es nicht so, dass wir immer nur das sehen, was wir sehen wollen? Seitdem du Trauerbegleiterin bist, siehst du überall nur Morde.«