Die Mainzer sind,
das muss man bei näherer Betrachtung immer wieder feststellen, nicht nur ein
äußerst feierlustiges, sondern auch ein ausgefuchstes Völkchen. Entgegen der
herkömmlichen Meinung, welche die Mainzer als provinziell oder gar rückständig
herabwürdigt, sind sie ihrer Zeit oft weit voraus. Der Fremde erkennt das nicht
auf den ersten Blick. Wie auch, wenn ihm der Sinn dafür abgeht? Er versteht
das nicht. Er kann damit nichts anfangen, zunächst nicht, - weil er allzu sehr in
der Gegenwart gefangen ist. Man denke etwa an die Mainzer Republik - das erste
auf bürgerlich-demokratischen Grundsätzen beruhende Staatswesen auf deutschem
Boden - und die Reaktion der Preußen und der hessischen Nachbarn darauf. Von so
prominenten Mainzern wie Rhabanus Maurus oder Johannes Gutenberg gar nicht zu
reden.
Aber man braucht gar nicht so weit zurückzugehen.
Wer sind denn die eigentlichen Vorreiter der Fast-Food- und Coffetogo-Kultur? -
Natürlich die Mainzer. Denn was ist die Mainzer Brezel, die man schon immer
gerne auf der Straße im Vorbeigehen verspeist, anderes als die Vorform des
Hot-Dogs und des Hamburgers.
Auch in der Architektur sind die Mainzer Pioniere.
Sinnfälliges Beispiel ist der Dom - und auch der Brand. Denn gerade der Brand
stellt in der Zeit seiner Errichtung in den frühen 1970er Jahren etwas völlig
Neues dar, das man erst seit einigen wenigen Jahren zu würdigen in der Lage
ist.
Die Abänderung des Entwurfs des dänischen
Architekten Arne Jacobson durch den Mainzer Architekten Heinz Lautbach kann man
zunächst einmal als eine Abkehr von den formalen Experimenten öffentlicher
Bauten der 1960er und 1970er Jahre hin zu einer pragmatischen Haltung deuten,
die weitgehend von den Bedürfnissen der Marktwirtschaft bestimmt wird und das
Primat des Ökonomischen der kommenden Jahre vorwegnimmt. Dementsprechend reiht
sich ein Ladengeschäft an das andere. Das ist auch nach den Umbaumaßnahmen der
letzten Jahre so geblieben, die sich an dem Konzept der 1970er Jahre
orientieren.
Ansonsten ist nach wie vor alles auf Einkauf und
Verkauf ausgerichtet. Hier wird nicht wie vielerorts gejoggt, geskatet, gewalkt
oder gebruncht. Auch Flash- und Smartmobs, bei denen sich viele Menschen zu
absonderlichen Kurzaktionen verabreden, finden hier nicht statt. Obwohl das
Brandzentrum außerhalb der Geschäftsöffnungszeiten nahezu menschenleer ist,
dient es auch da nicht, wie man es bei niedrig frequentierten überdimensionierten
Zweckbauten vermuten könnte, als Übungsplatz für das so genannte Parcouring,
einer Sportart, bei der alle möglichen Hindernisse wie Bänke, Mülltonnen,
Mauern, Schluchten übersprungen oder überklettert werden. Hier findet man keine
Graffitis, keine Street-Art und kein Guerilla-Gardening, wo betonierte und
gepflasterte Straßenränder in kleine Blumenbeete verwandelt werden.
Kurzum: Das Brandzentrum ist noch
immer kein Ort des öffentlichen Lebens. Das aber nimmt der Mainzer im Großen
und Ganzen gar nicht als störend wahr. Denn der burgähnliche Komplex mit den
stark gefalteten Fassaden und den terrassenförmigen Etagen erfüllt für ihn eine
ganz andere, viel wichtigere Funktion, worin der Mainzer Pioniergeist
eigentlich erst richtig zum Ausdruck kommt: Im Zuge der Globalisierung ist es
mittlerweile fast gleichgültig, ob man sich in Mannheim, Dortmund oder Köln
befindet. Überall findet man McDonalds, Starbucks, H&M und Co. Die
Einkaufsstraßen der westlichen Städte sind voll mit internationalen
Ladenketten, sie sind zu einem austauschbaren Bild geworden. Das Brandzentrum
nun verhindert diese zunehmende Angleichung des Mainzer Stadtbildes, mit denen
anderer Städte und den Verlust der ortsspezifischen Charakteristika, indem es
diese Ladenketten innerhalb seiner mit graugrünem Quarzitschiffer verkleideten
Mauern wie in einem mittelalterlichen Ghetto zusammenpfercht. Es wäre nur noch
zu hoffen, dass auch die unterirdischen Parkdecks des Brandzentrums zu solcher
Art Ghettoisierung umfunktioniert werden würden.
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