Wissen Sie eigentlich, was Spitzenpolitiker
wirklich denken, und was sie sagen, wenn kein Journalist, keine Kamera und kein
Mikrophon in der Nähe ist? Oder wenn sie sich unerkannt glauben? - Nein? Offen
gestanden, ich auch nicht. Meine Erfahrung mit dem geheimen Gedankenhaushalt
eines Politikers beschränkt sich lediglich auf ein paar wenige Lokal- und eins,
zwei unbedeutende Landespolitiker. Aber auch das kann manchmal sehr
aufschlussreich sein:
© Christian Kohl |
Nehmen wir zum Beispiel diesen
jungen Landtagsabgeordneten - sein Name soll hier ungenannt bleiben -, der
letzten Samstag beim Mainzer Marktfrühstück vor mir in der Schlange am
Kaffeewagen stand. Er wirkte kompetent, zumindest verstand er es, sein Jackett
in den wenigen Minuten, die er vor mir stand, mehrmals dezent auf- und zuknöpfen.
Ich begann mich gerade äußerst
lebhaft mit einer Freundin über den möglichen Kauf eines Bauernhauses im
Rheinhessischen zu unterhalten, als er sich lächelnd umdrehte und rundheraus
erklärte, dass auch er und seine Frau sich vor einiger Zeit überlegt hätten, ob
sie sich ein Haus auf dem Lande kaufen sollten. Sie hätten sich aber dagegen
entschieden. In der langatmigen, wortreichen Sprache eines Politikers zitierte
er daraufhin eine Studie, wonach sich die medizinische Versorgung auf dem Lande
in den nächsten zwanzig bis dreißig Jahren enorm verschlechtern würde.
Ich wollte schon entgegnen, dass
dies doch nicht unbedingt der Fall sein müsse, dass die Politik dem ja
entgegensteuern könne. Doch dann kam schon der Gedankensprung: »Das hat natürlich
auch Konsequenzen auf die Immobilienpreise«, sagte er und nahm seinen Latte macchiato in Empfang. »Stellen Sie
sich vor, Sie kaufen sich jetzt ein Haus für fünfhunderttausend, und in fünfzehn
Jahren, wenn sie es abbezahlt haben, ist es nur noch die Hälfte wert. - Das
wollten wir nicht!«
Nun ist Politiker-Bashing
eigentlich so gar nicht meine Sache. Doch ich frage mich noch heute, ob ein
Politiker, auch ein Landespolitiker, überhaupt so argumentieren darf? Macht er
sich damit denn nicht selbst überflüssig? Wo bleibt der Gestaltungswille, der
den Politiker, wie ich bisher dachte, gerade ausmacht, wenn alles dem Markt,
dem Schicksal oder wem auch immer überlassen bleibt? Der menschlichen Kreativität
sind kaum Grenzen gesetzt. Es ist doch immer wieder erstaunlich, wie viele
Produkte der Mensch aus Milch herzustellen versteht, oder was er mit 26 oder 30
Buchstaben auszudrücken in der Lage ist…
Fühlt sich der einzelne
Abgeordnete aufgrund der vielfältigen Zwänge von Fraktionen und
Parteiapparaten, wie eine andere Studie besagt, vielleicht einfach machtlos, um
für die Interessen seiner Wähler einzustehen? Dann muss man sich als Wahlbürger
aber leider fragen, wozu man ihm denn seine Stimme gegeben hat.
Wer sagt denn, dass Politiker gestalten wollen? Wer sagt denn, dass sie Gestaltungsmöglichkeiten haben? Die Gestaltungskompetenz liegt leider ausschließlich bei den Großkonzernen. Politik ist Beschäftigungstherapie, die dies verschleiern soll. Ocder glaubt jemand im Rhein Main Gebiet, die Flughafen AG ließe sich von irgendjemanden in ihr Geschäft reinreden?
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