Was wäre, wenn Sie und alle anderen Leser die Lektüre dieser Kolumne nach dem ersten Satz beenden würden? Dann hätte ich natürlich ein Problem. Denn dann hätte ich die Kolumne umsonst geschrieben. Das zeigt wie wichtig Aufmerksamkeit ist.
Die Aufmerksamkeit des anderen zu gewinnen, gehört wohl wie Essen und Trinken zu den Grundbedürfnissen des Menschen. Wir halten es einfach nicht aus, keine Rolle im Seelenleben der anderen zu spielen. Ja, wir nehmen sogar bleibenden Schaden, wenn wir kein Mindestmaß an Zuwendung beziehen. Aufmerksamkeit ist heute allerdings - angesichts der Informationsfülle und Reizüberflutung - eine äußerst knappe Ressource, um die ein regelrechter Kampf entstanden ist. Alles will und muss auffallen: das Produkt, der Politiker, die Nachricht, der Film, die Show, die Stadt … ja, auch wir selbst. Früher konnte man das noch durch ein außergewöhnliches Outfit erwirken, heute aber, wo alles Ausgefallene sofort zur Mode wird, funktioniert das nicht mehr. An dessen Stelle ist das Dampfgeplauder also das inhaltslose, oftmals widersinnige Geschwätz getreten, das mit vokalreichen, meist englischen Begriffen wie »Performance«, »Rebranding«, »Meeting« - um nur die gängigsten zu erwähnen - angereichert wird. Das ist zwar alles nicht neu, denn unsere Sprache ist gespickt mit substanzlosen Lehnwörtern und inhaltsleeren Wortneuschöpfungen, die das Mittelmaß und die mangelnde Kompetenz des Redners kaschieren sollen. Doch neu muss es sich anhören, und wichtig, so als ob man die Welt gerade selbst erschaffen hätte. Worte sind heute des Kaisers neue Kleider. Sätze wie »Sorry, ich hab gleich ein Date« werden mit einer solchen Vehemenz und papageienhaften Penetranz vorgetragen, dass wir gar nicht umhinkommen, den Redner für eine unabkömmliche und beliebte Persönlichkeit zu halten. Wir lassen solches Geplapper unhinterfragt über uns ergehen, sind beeindruckt und werden dabei selbst angesteckt. So hörte ich mich neulich wie ferngesteuert plappern: »Das finde ich irgendwie klasse, aber auch ziemlich strange.« Hauptsache irgendetwas gebabbelt, möchte man da sagen. Denn der Satz bedeutet eigentlich nichts und ist nichts als heiße Luft. Es war lediglich der Versuch, eine als unangenehm empfundene Redepause abzuwenden und mich in den Vordergrund zu drängen.
Kurzum: Wir hören nicht mehr zu. Wir denken nicht mehr nach. Und trachten nur noch danach uns selbst zu »verkaufen«. Vielleicht auch, weil wir es müssen. Man könnte ja die Fastenzeit zum Anlass nehmen, um sich hin und wieder mal in Schweigen zu üben. Das andere ergibt sich daraus sicherlich. - Ich bin dann mal still!